Schüler einer Neu-Ulmer Grundschule besuchen das Haus Sebastian in Illertissen. Das soll Erinnerungen wecken – und für gute Laune sorgen.
Mit roten, grünen und blauen Gummiringen zielt ein siebenjähriger Bub auf einen Holzstab, der etwa zwei Meter vor ihm auf dem Pflaster steht. Viele trifft er, einer geht daneben. Den hebt der Junge, ohne zu zögern auf, und drückt ihn einem älteren Herren in die Hand. Dieser kann sich nämlich nicht mehr richtig bücken, will aber auch mitmachen. Und als auch dessen Ringwurf daneben geht, hat der Grundschüler den Ring blitzschnell wieder eingesammelt. Dass die beiden ein Altersunterschied von mehreren Jahrzehnten trennt, ist so gewollt. Das ist die Idee hinter dem Zusammentreffen von Kindern und Demenzkranken.
„Wir merken über verschiedene Angebote, dass Senioren unheimlich offen und sensibel im Umgang mit Kindern reagieren“, erklärt Claudia Hörmann. Sie ist seit neun Jahren Einrichtungsleiterin in Illertissen, in dem aktuell 112 Menschen residieren. 32 von ihnen sind im „beschützenden Wohnbereich“ untergebracht, in den meisten Fällen aufgrund einer Demenzerkrankung. Und genau für diese Bewohnergruppe hat die Einrichtung gemeinsam mit der Grundschule Stadtmitte in Neu-Ulm ein besonderes Freizeitangebot entwickelt. Die 19 Schüler der ersten Klasse von Lehrerin Tanja Mack haben sich in einer Themenwoche ausgiebig mit Heilkräutern und der Person Sebastian Kneipp beschäftigt. Dazu haben sie auch Plakate vorbereitet und sogar selbst eine Arnikasalbe hergestellt, die sie den Demenzerkrankten mitbringen und präsentieren dürfen. Das soll für Abwechslung im Alltag der Senioren sorgen und Erinnerungen wecken. „Es geht um basale Stimulation – Gerüche wahrnehmen, die sie vielleicht schon vergessen haben“, erklärt Hörmann, und um „biografisches Arbeiten“. Wenn sie etwa überlegen, ob sie früher selbst Thymian im Garten hatten, strenge das ihr Gehirn an und sorge für eine gemeinsame Gesprächsbasis. Vergesslichkeit ist typisch für das Krankheitsbild einer Demenz. Oft beginne es damit, dass man Kleinigkeiten vergisst oder den Tag vertauscht. Betroffen ist nämlich besonders das Kurzzeitgedächtnis: „Demenzerkrankte können ihnen von der Vergangenheit erzählen, aber nicht, was es gestern zum Mittagessen gab.“ Im mittleren Stadium kämen dann Probleme im Alltag hinzu. Etwa, dass sie ihre Schuhe beim Anziehen vertauschen. Wenn die Krankheit sehr fortgeschritten ist, könne es auch passieren, dass Betroffene sich selbst und Andere nicht mehr erkennen.
Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sind rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz erkrankt. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Schätzung, denn wie auch Hörmann weiß, ist die Dunkelziffer sehr hoch. Weil Frauen durchschnittlich eine höhere Lebenserwartung haben, sind rund zwei Drittel aller Betroffenen weiblich. Und die Zahl der Erkrankten steigt kontinuierlich. Aktuellen Hochrechnungen zufolge sollen bis zum Jahr 2050 zwischen 2,4 und 2,8 Millionen Menschen in Deutschland von Demenz betroffen sein. Grund dafür ist der demografische Wandel: Es gibt mehr Neuerkrankungen als Sterbefälle unter den bereits an Demenz erkrankten Menschen. Weil sie heute auch länger ambulant versorgt werden können, kommen sie auch immer später in die Einrichtung, sagt Hörmann, „wenn sie kognitiv schon betagter sind“. Verstehen das die Grundschülerinnen und Grundschüler? „Die Kinder wissen, dass es ältere Menschen sind, die schnell vergessen“, sagt Lehrerin Mack.
Berührungsängste haben sie deshalb nicht. Ganz im Gegenteil: „Die Kinder verhalten sich unheimlich respektvoll gegenüber den Älteren“, schildert Hörmann, „sie sagen Grüß Gott und geben ihnen sogar die Hand“. Und auch sie profitieren von der Begegnung mit den Seniorinnen und Senioren. Bei einem ähnlichen Projekt mit Kindergartenkindern hätten ihnen die älteren Damen etwa gezeigt, wie man einen Gurkenschäler benutzt. Und „was die Senioren ihnen zeigen können, nehmen die Kinder positiv auf“, beschreibt die Einrichtungsleiterin. Nicht zuletzt geht es bei dem Projekt auch darum, für eine gute Stimmung zu sorgen. Die Begegnung mit Kindern sei für ältere Menschen „belebend, erfrischend und vitalisierend“, sagt Hörmann. Und sie hat das Gefühl, dass sie besonders die Lebensfreude und Unbeschwertheit genießen, mit der Kinder verschiedenen Alters durch den Tag gehen. Das wirke positiv aufs Gemüt und sei letztendlich gesundheitsfördernd. Hörmann ist begeistert von der Kooperation mit der Grundschulklasse. Und sie glaubt, dass „es noch viele weitere so schöne Tage geben wird“. Gerade weil der Pflege ein eher negatives Image anhaftet, freue sie sich umso mehr, ihre Einrichtung für die Öffentlichkeit zu öffnen, und auch die guten Seiten zu zeigen: „Man spricht viel zu wenig darüber, wie schön es eigentlich ist, in der Altenpflege zu arbeiten.“
von Frau Sophia Krotter, Volontärin, Medien-Akademie Augsburg